Die Leitgedanken des FIFAP
Unsere Arbeitsweise orientiert sich an einigen Grundsätzen oder Arbeitsprinzipien, die wir Ihnen hier kurz erläutern wollen. So können Sie sich eine Meinung bilden, ob Ihnen unser grundlegender Stil zusagt.
Menschenfreundlichkeit und Beziehungsfähigkeit
Über allem steht unsere Liebe zu Menschen im allgemeinen und zur intensiven Zusammenarbeit mit ihnen im besonderen. Das gilt gleichermaßen für unsere Arbeit mit Profis wie für unsere Arbeit mit psychisch traumatisierten Menschen.
In beiden Arbeitsbereichen, also der Weiterbildung professioneller Helfer und der Traumaberatung/-psychotherapie Betroffener, ist Beziehung der Boden, der alles Nachfolgende trägt. Unsere Erfahrung, die vieler Kollegen sowie schließlich die wissenschaftliche Forschung zeigen: Man kann seine schönsten Techniken, Übungen oder didaktischen Kunstgriffe „in die Tonne treten“, wenn man als Seminarleiter oder professioneller Helfer nicht in der Lage ist, sich als Mensch zu einem anderen Menschen wirklich in Beziehung zu setzen.
Das setzt bestimmte Eigenschaften auf Seiten des Helfers oder Anleiters voraus: Klugheit auf intellektueller, emotionaler und sozialer Ebene, Schwingungsfähigkeit, Empathie, innere Lebendigkeit, Achtsamkeit, Durchlässigkeit, Klarheit, Kongruenz, Fähigkeit zum Perspektivwechsel, eigene Lebensbejahung und -freude, Respekt, unbedingte Wertschätzung, Selbsterfahrenheit, Humor – um hier nur einmal die aus unserer Sicht wichtigsten zu nennen.
Während ein durch solche Eigenschaften geprägtes Beziehungsangebot im Weiterbildungsbereich nahezu immer eine direkte positive Resonanz erzeugt, ist das in der Arbeit insbesondere mit komplex und interpersonell traumatisierten Menschen meist nicht so einfach: Das Vertrauen in die Verlässlichkeit zwischenmenschlicher Beziehungen ist hier so schwer beschädigt worden, dass es nur sehr mühsam (wieder) aufgebaut werden kann. Wenn unsere Geduld und Zuversicht einmal arg auf die Probe gestellt wird, helfen uns zwei Leitsätze, um die wertschätzende Haltung beizubehalten bzw. wieder einzunehmen: „Das Gras wächst nicht schneller, indem man daran zieht“ (afrikanisches Sprichwort) und „The slower you go, the faster you get there“ (unbekannt).
Über die Bedeutung der Qualität helfender Beziehungen ist viel geschrieben und geforscht worden. Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis ist das sog. still face experiment von Dr. Edward Tronick (2007), das sie hier anschauen können: YouTube
Ressourcenorientierung
Die Bedeutung der Arbeit mit Ressourcen („Kraftquellen“) hat nicht zuletzt durch die Entwicklung traumatherapeutischer Ansätze einen starken Auftrieb erfahren, die wiederum wesentlich durch den etwa zeitgleich entwickelten Ansatz der Salutogenese von Antonovsky et al. (1997) beeinflusst wurden – ein Rahmenkonzept für Medizin und Psychologie, das nicht nach den Bedingungen für die Entstehung von Krankheiten fragt, sondern nach den Faktoren und Wechselbeziehungen zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit.
Egal, ob es darum geht, Hürden und Herausforderungen in der eigenen Arbeit als Profi zu überwinden oder darum, sich als traumatisierter Mensch mit leidvollen Erfahrungen auseinander zu setzen – die eigenen Ressourcen sind ein tragfähiger Boden, um Neues, Verunsicherndes oder Belastendes auszuhalten und daraus tragfähige Alternativen zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund unterstützen wir Betroffene wie auch Profis darin, ihre vorhandenen Potenziale wahrzunehmen und weiter zu entwickeln, damit sie sie für Veränderungsprozesse und zur Problembewältigung nutzen können.
In unseren Angeboten für Profis spiegelt sich unsere Ressourcenorientierung in zwei Aspekten wider:
- Wir betrachten unsere TeilnehmerInnen als Experten für ihr jeweiliges Feld, die bei uns eine weitere, traumazentrierte Expertise erwerben wollen.
- Wir unterstützen unsere TeilnehmerInnen in einer (noch) ressourcenorientierteren Sicht der eigenen Person und Arbeit sowie der KlientInnen und KollegInnen.
In der Beratung und Psychotherapie umfasst Ressourcenorientierung für uns folgende Aspekte:
- Wir unterstützen unsere Klienten darin, ihre individuellen Ressourcen (wieder) zu entdecken, zu mobilisieren und zu stärken.
- Wir verstehen das, was aus klassischer therapeutischer Sicht dysfunktional und defizitär erscheint, als Kraftquelle: nämlich die Symptome unserer Klienten. Sie sind deswegen eine Ressource, weil sie das Überleben in eine schier aussichtslosen Situation ermöglicht haben; hätte der Klient bessere, funktionalere Möglichkeiten zur Bewältigung der Situation zur Verfügung gehabt, als dieses oder jenes Symptom zu entwickeln, so hätte er diese bessere, funktionalere Verhaltensmöglichkeit auch gewählt. Symptome haben also einen guten Grund (der meist in der traumatischen Vorgeschichte zu finden ist; sie fallen nicht einfach so vom Himmel herunter), und sie haben eine Bewältigungs- und Konfliktlösungsfunktion. Erst wenn das gewürdigt ist, befassen wir uns mit der Frage, ob das Symptom auch heute in der Gegenwart noch einen guten Grund und einen Nutzen hat. Wenn das so ist, arbeiten wir mit dem Klienten zunächst an der Verbesserung der äußeren Situation. Und wenn das nicht so ist, dann helfen wir ihm, die Kraft, die in das Symptom geflossen ist, nach und nach in konstruktivere Verhaltensweisen zu überführen.
- Ressourcenorientierung umschließt für uns auch die innere Überzeugung oder Zuversicht, dass der Klient es schaffen kann, seine jetzige Situation zu verbessern. Wenn wir als Helfer im Einzelfall diese Zuversicht nicht aufbringen können, was im übrigen unabhängig ist von der Schwere der Beeinträchtigung, dann helfen wir diesem Klienten, einen anderen Helfer zu finden, der diese Zuversicht aufzubringen vermag.
- Ressourcenorientierung meint für uns darüber hinaus eigene Lebensbejahung und –freude als professioneller Helfer, denn wenn wir selbst „zum Lachen in den Keller gehen“, dann sind wir kein überzeugendes und glaubhaftes Modell für Fülle und Lebendigkeit und gegen Tristesse und Hoffnungslosigkeit.
- Ressourcenarbeit wird von uns nicht dazu missbraucht, um der Begegnung mit dem Leiden des Klienten auszuweichen oder das Elend des Klienten „schön“ zu färben. Wir signalisieren deutlich, die dunkle Seite der Geschichte annehmen und aufnehmen zu wollen, denn „die Würdigung von Erlittenem in der Vergangenheit stellt die existentiell wichtige Basis für die Besserung in der Zukunft dar“ (G. Schmidt, 2006, S. 13).
Information, Transparenz und Kontrolle
Information, Transparenz und Kontrolle bzw. Entscheidungs-/Kontrollmöglichkeiten sind aus unserer Sicht deshalb unersetzliche Basisstrategien im Umgang mit traumatisierten Menschen, weil sie das genaue Gegenstück zur traumatischen Erfahrung darstellen, die durch Informationsmangel, Unvorhersagbarkeit und Kontrollverlust gekennzeichnet ist. Die konsequente Umsetzung von Information, Transparenz und Kontrolle dient dem Aufbau eines Klimas von Klarheit, Vorhersagbarkeit und Zuverlässigkeit, und ermöglicht so die Relativierung der traumatischen Erfahrung, dass die Welt ein unkontrollierbarer, gefährlicher Platz ist.
Genau genommen handelt es sich bei diesen drei Variablen weniger um spezifische Vorgehensweisen, wie die Bezeichnung Basisstrategien vielleicht nahe legt, als vielmehr um eine bestimmte Haltung im Umgang mit traumatisierten Menschen (die durch bestimmte Vorgehensweisen gleichwohl zum Leben erweckt werden kann). Wir persönlich sind aufgrund unserer langjährigen Erfahrungen inzwischen der Überzeugung, dass es eine Haltung ist, die jeglichen zwischenmenschlichen Kontakt (nicht nur den zu Klienten) prägen sollte, weil sie vieles, was sonst schwierig ist, so viel leichter oder gar einfach macht.
Nicht nur unser Umgang mit traumatisierten Menschen ist daher in möglichst jeder Phase des Kontaktes von diesen Basisstrategien geprägt (d. h. wir informieren, wir handeln vorhersagbar, wir räumen Wahlmöglichkeiten ein), sondern auch mit unseren Auftraggebern und Seminarteilnehmern. Wir versuchen gleichsam als Modell zu agieren, um auf diese Weise das Heilsame und Förderliche eines solchen Umgangs miteinander auf der Metaebene zu verdeutlichen (es wäre ja auch ziemlich inkongruent, Information, Transparenz und Kontrolle als Grundsatz zu formulieren und sich selbst dann nicht entsprechend zu verhalten).
Speziell in unseren Weiterbildungsangeboten für Profis kommen die Basisstrategien auch noch auf anderer Ebene ins Spiel: Zum einen lehren wir sie in jeder unserer traumazentrierten Weiterbildungen für Profis, zum anderen ist unser Lehrangebot als solches sehr informationshaltig (bis –lastig), sehr strukturiert und damit transparent, und es beinhaltet an den geeigneten Stellen natürlich auch Wahlfreiheiten. Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass ein solches Lehrangebot für die Anregung und Vertiefung von Lern-, Verstehens- und Reflexionsprozessen besonders effektiv ist – wenn auch nicht immer ganz unanstrengend :o)
Theorie als Voraussetzung guter Praxis
Das Theorie-Praxis-Verhältnis wird sowohl in der Literatur als auch umgangssprachlich gerne als ein Gegensatzpaar gesehen:„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum“ heißt es schon in Goethes Faust I (1808, S. 2038 f.) oder ganz ähnlich bei Friedrich Wilhelm Leopold Pfeil: „Alle Theorie ist grau, und nur der Wald und die Erfahrung sind grün“ (1846, S. 131). Gemeinhin bekannt ist auch der Satz: „Theorie ist, wenn es stimmt, aber nicht geht, Praxis ist, wenn es geht, aber nicht stimmt“.
Im FIFAP sehen wir Theorie und Praxis nicht in einem Ausschließlichkeits-, sondern in einem Ergänzungsverhältnis, und so lässt sich unser Ansatz besser mit Louis Pasteur beschreiben: „Theorie ist die Mutter der Praxis“ (1939, S. 131) und mit Kurt Lewin: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“ (1951. S. 169).
Wir sind der unbedingten Überzeugung, dass wirklich gute Praxis immer gute Theorie voraussetzt. Das gilt sowohl für die traumazentrierte Beratung und Psychotherapie wie auch für den traumazentrierten Weiterbildungsbereich. Beide Zielgruppen (der traumatisierte Klient in unserer Praxis und der professionelle Helfer in unserer Weiterbildung) müssen wissen, warum sie etwas Bestimmtes tun sollen (es braucht einen guten Grund, eine Begründung für das eigene Handeln) und woraufhin sie es tun sollen (es braucht ein Ziel des eigenen Handelns). D. h.: Der traumatisierte Klient muss wissen, warum diese oder jene Übung/Vorgehensweise hilfreich sein kann und worauf sie abzielt; der professionelle Helfer muss das gleiche erst recht und besonders genau wissen, um es seinem Klienten vermitteln zu können.
Nur wenn die beiden Eckpfeiler des eigenen Tuns (das „Warum“ und das „Woraufhin“) klar sind, d. h. theoretisch gut untermauert sind, dann verkommt das Stück zwischen dem „Warum“ und „Woraufhin“, nämlich das „Wie“, das praktische Tun, nicht zum Technizismus bzw. zur bloßen Anwendung von Kochrezepten. Genau das können traumatisierte Menschen, mit denen wir als Profis arbeiten, nämlich nicht brauchen; sie kennen es ja leidvoll, funktionieren und sich unterwerfen zu müssen.
Daher: Nur, wer die Gründe (das „Warum“) und Ziele (das „Woraufhin“) seines Handelns kennt, hat die Möglichkeit, das praktische Handeln (also das „Wie“) daran auszurichten und innerhalb der Eckpfeiler des „Warum“ und „Woraufhin“ frei und kreativ zu gestalten – darauf arbeiten wir hin, mit unseren eigenen Klienten und mit unseren Seminarteilnehmern, und dafür ist eine fundierte Theorie unabdingbar. Wir möchten nicht, dass Klienten glauben, Sie müssten bspw. die Tresorübung nach Schema F anwenden, um sich zu entlasten, und wir möchten schon gar nicht, dass unsere Seminarteilnehmer aus den verschiedenen Helferberufen das glauben und ihren Klienten dann so weitergeben.
Zielgruppenbezogenheit und Handlungsrelevanz
Zielgruppenbezogenheit und Handlungsrelevanz bedeutet für uns zum einen eine möglichst genaue Ausrichtung an den spezifischen Fähigkeiten, Vorerfahrungen und (Praxis-)Bedürfnissen einer jeweiligen Zielgruppe oder Einzelperson, zum anderen die Herstellung eines eindeutigen Anwendungsbezuges. Unsere Angebote sind also grundsätzlich so gestaltet, dass sie auf die spezifischen Voraussetzungen des Gegenübers abgestimmt sind und handlungsrelevant aufbereitet werden.
So legen wir im Weiterbildungsbereich großen Wert auf die Berücksichtigung des fachlichen Hintergrundes und der konkreten Arbeitsbedingungen einer jeweiligen Zielgruppe und passen unsere Sprache und die konkreten Vorgehensweisen (Inhalte, Art der Erklärungen, Beispiele und Demonstrationen, Seminarunterlagen, Übungen, Supervisionsmethoden etc.) möglichst genau an die Voraussetzungen der TeilnehmerInnen an.
Im Rahmen der konkreten Hilfsangebote für traumatisierte Menschen sind die individuellen Traumafolgen des Klienten unsere Leitorientierung in Diagnostik und Intervention. Wir betrachten die spezifischen traumatischen Vorerfahrungen im Kontext der Biografie des Einzelnen, seine Persönlichkeitsstruktur, seine Ressourcen im allgemeinen und zur Problembewältigung im besonderen, seine soziale Einbindung, seine aktuelle körperliche, soziale und psychische Stabilität, seine Ziele und Wünsche u. v. m. und bauen auf diesen Ergebnissen gemeinsam mit den Klienten den (vorläufigen) Interventionsplan auf. Jeder Klient (egal welchen Alters) entscheidet aktiv mit, welche Methoden und Vorgehensweisen er zulässt und wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Insbesondere die Entscheidung, ob und wann eine Bearbeitung der Traumafolgestörung mit Hilfe einschlägiger Expositionstechniken erfolgen soll, obliegt dem jeweiligen Klienten.