Definition und Merkmale psychischer Traumatisierung

Ein psychisches Trauma entsteht durch die Konfrontation mit einem Ereignis besonders belastenden Ausmaßes, das betroffenen Menschen keine Handlungsmöglichkeiten lässt bzw. die zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen überfordert. Typische Ereignisse, die sehr häufig als außerordentlich belastend erlebt werden und eine psychische Traumatisierung (seelische Verletzung) nach sich ziehen können, sind z. B.:

  • Unfälle (z. B. Arbeits- oder Verkehrsunfall)
  • Gewalttaten (z. B. Überfall, Körperverletzung, Geiselnahme)
  • Gewaltsamer Tod nahestehender Menschen
  • Sexualisierte Gewalt (Vergewaltigung, sexuelle Misshandlung, Zwang zur Prostitution und/oder Pornographie)
  • Körperliche, seelische und sexuelle Misshandlung in der Kindheit (auch rituelle Gewalt)
  • Folter
  • Teilnahme an oder Erleben von Kriegs- und Kampfhandlungen
  • Langdauernde Internierung bzw. Gefangenschaft
  • Großschadenslagen (Großbrände, Zugunglücke, Unfälle in der Chemischen Industrie)
  • Naturkatastrophen

Diese Liste ist nicht vollständig. Es kann sein, dass Sie ein ähnliches oder auch ein ganz anderes Ereignis erlebt haben, dass Ihnen Probleme bereitet.

Das Besondere an psychischen Traumatisierungen ist, dass das hervorrufende Ereignis plötzlich und unerwartet eintritt (z. B. Verkehrsunfall), doch gibt es auch Fälle, in denen der Betroffene ständig damit rechnen muss, besonders belastenden Situationen ausgesetzt zu werden (z. B. wiederholte sexuelle, körperliche und seelische Gewalterfahrungen durch Familienmitglieder; Mitarbeiter in Blaulichtberufen). Unabhängig davon jedoch, ob das belastende Ereignis unvermittelt oder erwartet hereinbricht – es entsteht auf jeden Fall eine Situation, der man nicht entfliehen kann (z. B. das kleine Kind, das den Übergriffen Erwachsener wehrlos ausgesetzt ist) oder gegen die man nicht wirkungsvoll kämpfen kann (z. B. der Feuerwehrmann, dem es trotz aller Anstrengungen nicht gelingt, einen Verschütteten zu retten), und die daher mit dem Erleben von Hilflosigkeit und Ohnmacht, Entsetzen oder gar Todesangst einhergeht.

Das Erleben von Ohnmacht, Hilflosigkeit und ähnlichen Gefühlsqualitäten während des traumatischen Geschehens ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass diese Person ein erhöhtes Risiko hat, psychotraumatische Komplikationen zu entwickeln; es handelt sich somit um einen wichtigen prognostischen Faktor.

Ein zweiter bedeutsamer prognostischer Faktor, der auf ein hohes Risiko psychotraumatischer Folgeerscheinungen verweist, ist die sog. peritraumatische Dissoziation. Mit diesem Begriff werden spezifische Veränderungen der Wahrnehmung während des traumatischen Ereignisses bezeichnet. Die Betroffenen erleben das Geschehen in Form einer inneren Distanz oder Unbeteiligtheit – so, als seien sie selbst gar nicht richtig in die Situation involviert. Sie berichten z. B. darüber,

  • alles „wie im Film” erlebt zu haben,
  • keinerlei Schmerz gespürt zu haben bzw. von ihrem Körper „wie abgetrennt” gewesen zu sein,
  • wie ferngesteuert bzw. automatisch gehandelt zu haben,
  • alles wie im Zeitlupentempo oder „rasend schnell” erlebt zu haben.

Diese und ähnliche Wahrnehmungsphänomene werden von vielen Betroffenen im Nachhinein als außerordentlich beängstigend und beunruhigend eingestuft, weil sie sich von der alltäglichen Wahrnehmung sehr deutlich unterscheiden.

Hier ist es hilfreich zu wissen, dass es vielen Menschen so geht, die extrem schlimme Situationen erlebt haben, und dass diese Wahrnehmungsveränderungen dazu dienen, solche Ereignisse auszuhalten. Die peritraumatische Dissoziation ist sozusagen ein Notfall-Mechanismus, der sich dann automatisch einschaltet, wenn das aktuelle Geschehen anderweitig nicht zu ertragen ist. Von schwerstverletzten und -misshandelten Menschen wie z. B. Folteropfern und Opfern fortgesetzter sexualisierter Gewalt in der Kindheit weiß man, dass sie ohne den psychischen Mechanismus der Dissoziation nicht hätten überleben können. Zusammenfassend ist wichtig:

Das Erleben von Hilflosigkeit und Ohnmacht sowie die peritraumatische Dissoziation weisen auf ein deutlich erhöhtes Risiko der Entwicklung psychotraumatischer Folgeerkrankungen hin.

Ob es allerdings tatsächlich dazu kommt oder nicht, hängt von vielen weiteren Faktoren ab. Vor allem bereits erlittene traumatische Vorerfahrungen, die Sicherheit der aktuellen Lebenssituation sowie die Tragfähigkeit sozialer Beziehungen spielen in dieser Hinsicht eine große Rolle.

Wenn Sie selbst ein sehr belastendes Ereignis erlebt haben und sich nicht ganz sicher sind, ob Sie dieses allein mit Unterstützung Ihres sozialen Umfeldes bewältigen können, so empfehlen wir Ihnen, sich zunächst kompetent beraten zu lassen. Im Anschluss daran können Sie mit Hilfe des Beraters entscheiden, ob weitergehende Unterstützungsmaßnahmen erforderlich oder sinnvoll sind und welche Möglichkeiten für Sie in Frage kommen. Manchmal besteht die entscheidende Hilfe bereits darin, Informationen über die Verarbeitung von Traumata einzuholen oder sich bei einem Fachmann vergewissert zu haben, dass man über genügend persönliche und soziale Möglichkeiten verfügt, um das Trauma ohne weitere Begleitung bewältigen zu können. Manchmal sind nur einige wenige Beratungsgespräche erforderlich, manchmal ist eine traumazentrierte Psychotherapie angezeigt, und oft ist auch der Urlaub an einem guten, erholsamen Ort ein entscheidender Schritt, um sein seelisches Gleichgewicht nach und nach wiederzufinden.

Auf jeden Fall sollten Sie sich nicht scheuen, fachkundige Hilfe ihn Anspruch zu nehmen, wenn Sie sie brauchen oder meinen, sie täte Ihnen gut. Je früher Sie dies tun, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mit kleinem Aufwand einen großen Nutzen erzielen. Wenn Sie so lange warten, bis sich ihre Beschwerden sehr deutlich und nachhaltig manifestiert oder gar chronifiziert haben (z. B. Probleme am Arbeitsplatz und in der Familie, Entwicklung körperlicher Beschwerden ungeklärter Ursache, dauerhaft erhöhter Alkoholkonsum, innere Leere, Depressionen) ist die Bearbeitung oft aufwendiger – aber auch um so dringlicher, um den chronischen Verlauf zu unterbrechen und den Erholungsprozess in Gang zu setzen.

Zu spät, sich helfen zu lassen, ist es jedenfalls nie!